Mariabuchen

 
 Geschichte und Hintergrund, volkskundliche Darstellung

 

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Das Judenfrevelmotiv am Wallfahrtsort

Es ist unbestreitbar, dass das Judenfrevelmotiv der Gründungslegende in den uns zugängigen Quellentexten, also in der schriftlichen Überlieferung, erstmals 1591 greifbar wird. Der kaiserliche Bücherkommissar Valentin Leucht hat den Judenfrevelbericht erstmals in seinem 1591 erschienenen Sammelband "Über die heiligen Bilder" und in seinen folgenden Büchern 1595 und 1614 in Varianten veröffentlicht. Seine "Nutzanwendung" aus der Legendenerzählung formulierte er 1614 in wenigen Zeilen: Allhie sehen wir / wie wunderbarlich Gott der Allmächtige mit diesem Marienbildt gewürcket. Das Bildt gibt von sich eine laute unnd Menschliche Stimme / das Schwerdt deß Juden belauffet mit Blut / unnd er selbsten / der Jud / kann kein Schritt fortgehen. Unnd geschehen viel Miracul bey diesem Bildt. Solches seyndt alles Anzeygungen Göttlicher Allmächtigkeit. Dann dieser GOTT / welcher auß hartem Felsen inn der Wüsten klares Wasser fliessendt machet / Exod. 17. Psalm. 77.80. 1. Corinth. 10. Der schaffet auch / daß auß dürren Bildern das zarte Blut fleusset / alles zur Bestattigung unsers wahren eynigen Glaubens. Wann der "Frevelglaube " am Ort in Maria Buchen verinnerlicht und in das Traditionswissen übernommen wurde, können wir heute nicht mehr feststellen. Die Bild- und Texttafel, die das Auffindungswunder mit der Erzählung des Judenfrevelberichts darstellte und bis in die hohen sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in der Kirche hing, aber heute nicht mehr gezeigt wird und auch aus der Selbstdarstellung der Wallfahrtsstiftung verschwunden ist, ist unter stilkundlichen Gesichtspunkten kaum so alt, wie in der Literatur gelegentlich behauptet wird. Das "Rundbogenbild" scheint ein Werk der Romantik zu sein, ist also wahrscheinlich Ende des 18. oder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Die Abbildungen des Gnadenaltars aus der Zeit um 1898 zeigen an der Kirchenwand links vom Gnadenaltar nur die Bildtafel, aber nicht den Legendentext.

Judenfrevelmotiv

Der Frevelbericht wird erstmals 1591 von dem Kaiserlichen Bücherkommissar Valentin Leucht (1550 -1619), Frankfurt, aufgeschrieben und publiziert. Er ist ein namhafter Publizist der Gegenreformation. Die älteste Bilddarstellung der Legende erscheint, als die Kapuziner in Maria Buchen ihr Kloster gegründet hatten. Kunsthistorisch betrachtet scheint das Rundgemälde der romantischen Malerei verpflichtet, stammt also aus dem ausgehenden 18. bzw. dem beginnenden 19. Jahrhundert.

Ob Franz Driesler (1854-1910) oder sein Vater Johann Jakob Driesler (1815-1892) bei ihren Arbeiten in der Wallfahrtskirche vor dem "500jährigen Wallfahrtsjubiläum" 1895 wirklich nur eine alte Texttafel "renoviert " haben, oder das gemalte Bild um die Texttafel ergänzten, bleibt bis auf weiteres Spekulation. Die Legendentexttafel mit dem Text von Valentin Leucht war von einem Schreiber "Driesler" signiert. Nach Lage der Dinge muss einer der beiden genannten Lohrer Handwerksmeister, entweder Vater oder Sohn Driesler, im ausgehenden 19. Jahrhundert der Schreiber des Textes gewesen sein. Dass die große Tafel bereits in den Vorgängerkirchen der heutigen Wallfahrtskirche gehangen haben soll, scheint nicht naheliegend zu sein. Der Leucht-Text ist (mit Varianten) auch in anderen Predigt- und Wallfahrtserzählbüchern der frühen Neuzeit immer wieder publiziert worden. Die narrative Theologie jener Zeit hielt die Geschichte für wahrhaft möglich und hat sie deshalb in ihrer Verkündigung für wahr gehalten und wiedergegeben.
Nach Leucht finden wir den Text handschriftlich bei Christoph Wagner, 1657 im lateinischen "Atlas Marianus" des Jesuiten Wilhelm Gumppenberg und in dessen deutscher Übersetzung des Maximilian Wartenberg. Der Lohrer Kleriker Laurentius Lemmer publizierte die Legende 1677, der Kapuzinerpater Martin von Cochem, sein Mitbruder Dionysius von Luxemburg und Renatus von Köln haben die Buchener Gründungslegende in ihre Werke eingerückt. Für die fränkische Rezeption ist auch die Wiedergabe im Katechismus des Steinfelder Pfarrers (1712-1756) und Karlstädter Dekans Johann Caspar Höpffner (1681-1756) im Jahre 1754 sehr wichtig, weil sein Katechismus große Verbreitung gefunden hatte.
Die Darstellung des Judenfrevels auf den von Theo Ruf erstmals publizierten Andachtsbildchen aus der Sammlung Hofmann ist wohl die älteste bildliche Darstellung des Frevels. Sie deutet hin auf seine Hervorhebung, nachdem die Kapuziner in Maria Buchen eingezogen waren, denn sie selbst erscheinen im Umfeld der Kirche auf dem Bildchen. Es gibt auch deutliche Anklänge zwischen der Ikonographie der Andachtsbildchen und dem großen Legendenbild. Viele Andachtsbildchen des 19. und 20. Jahrhunderts haben das Motiv der Legendentafel immer wieder aufgenommen und sind nicht mehr und nicht weniger als der Ausdruck des Antijudaismus, den die katholische Kirche heute bereut und für den Papst Johannes Paul II. bei vielfältigen Anlässen immer wieder das jüdische Volk um Vergebung gebeten hat. Der Antijudaismus der frühen Neuzeit ist aber kein ausschließlich katholisches, sondern ein die christlichen Konfessionen umgreifendes Thema. In Maria Buchen hat man zu Recht die Leucht´sche Legendenversion vom Judenfrevel aus der Kirche entfernt, weil dieser Text heute kein Teil der Verkündigung mehr sein kann und darf. Es ist aber gewiss eine Fehlreaktion, wenn diese Erzählvariante der Gründungslegende heute aus der Geschichtsüberlieferung des Ortes einfach ausgegrenzt und verdrängt wird.
Im Zusammenhang mit den Naziverbrechen am jüdischen Volk wird heute gerne eine alte jüdische Lehrweisheit zitiert, die auch für die Fehldarstellung der Legende von Maria Buchen gilt. Die jüdischen Talmudgelehrten lehren uns Die Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung. Bundespräsident Richard von Weizsäcker schrieb diesen Satz in das Gedenkbuch von Yad Vaschem. Er könnte auch die Handlungsmaxime sein im Umgang mit der Wallfahrtsgeschichte von Maria Buchen. Die jüdische Religion kennt, genauso wie die katholische Kirche und wie viele andere große Religionsgemeinschaften, die Wallfahrt als besondere Form der Liturgie. Vielleicht wäre Maria Buchen ein Ort, an dem Juden und Christen gemeinsam über Wallfahrt sprechen könnten, um auch gegen- seitiges Verständnis und Miteinander in unserer Zeit zu finden. Zwar können wir die vielen fränkischen Landjuden, die gewiss unter dem Frevelbericht des Leucht gelitten haben, nicht mehr in das Gespräch einbeziehen, aber es wäre ein großer Fortschritt, wenn die Heutigen über die Fehler ihrer Väter mit den Söhnen und Töchtern der Leidtragenden sprechen könnten und damit die Rehabilitation der zu Unrecht Beschuldigten vorantrieben. Vielleicht könnte eine solche Herangehensweise an die Geschichte auch die Perspektiven klären, die heute der Wallfahrtsort vor sich sieht.

 

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